Ein Regenschirm
gegen Korrosionsprobleme
Jürg Conzett
Als wir im Jahr 2014 für eine Zusammenarbeit zur Rettung des einzigen verbliebenen Gasometers der einst grossen Anlage in Schlieren angefragt wurden, präsentierte er sich in einem schadhaften Zustand. Das Bassin konnte nicht mehr mit Wasser gefüllt werden, es war undicht, dennoch standen immer einige Zentimeter Wasser auf der Bodenplatte, denn das Regenwasser floss über die Glocke und ihre Schöpftasse durch den Ringspalt ins Bassin; das Innenklima des Gasometers war dadurch feucht-warm und die Korrosion der dünnen Eisenplatten machte unter diesen Umständen grosse Fortschritte.
Rasch war klar, dass ein Bewegen der Teleskopelemente des Gasometers unter diesen Umständen nicht mehr möglich war – Ziel unserer Arbeiten musste sein, den Gasometer in seinem jetzigen «eingefrorenen» Zustand zu konservieren.
Der Bericht des Korrosionsexperten Ferdinand Rickenbacher war desillusionierend: Angesichts der vielen Fugen in den sich überlappenden Blechen, gefüllt mit korrosionsfördernden Stoffen aus der Betriebszeit des Gasometers, und der Zwischenräume zwischen der sich wellenden Dachhaut und deren Tragkonstruktion war ein üblicher Korrosionsschutz mit Sandstrahlen und mehrschichtigem Aufbau nicht dauerhaft machbar.
Nach längerer Evaluation verschiedener Möglichkeiten kam man zum Schluss, dass der Bau eines grossen Regenschirms über der Glocke des Gasometers die Korrosion auf einfache und wirkungsvolle Art bekämpfen würde. Es zeigte sich, dass eine Holzkonstruktion mit radial angeordneten «Sparren» und einer wasserdichten transluzenten Membran eine sowohl finanziell tragbare wie auch denkmalpflegerisch und ästhetisch befriedigende Lösung darstellt.
Der Aufbau der Konstruktion wurde wesentlich durch den Montagevorgang bestimmt. Zuerst setzte man den mächtigen stählernen «Zentralknoten» in der Mitte der Glocke auf einen provisorischen Gerüstturm. Entlang der Traufe der Glocke verläuft ein kräftiger, im Grundriss kreisförmiger stählerner Ringträger. Er ist mit Laschen an die bestehenden Gerüststiele angeschraubt. Zu diesem Zweck mussten in den Stegen der Gerüststiele Löcher gebohrt werden. Dies sind die einzigen Eingriffe in die überlieferte Bausubstanz.
Darauf folgte das Versetzen der ersten Holzelemente, bestehend aus zwei Sparren, mit Mehrschichtholzplatten verbunden. Sie wurden von innen her um die vertikalen Gerüststiele geschoben – sie nehmen die Gerüststiele in die Zange. Anschliessend war es möglich, die auskragenden Teile dieser Holzelemente ebenfalls mit Mehrschichtholzplatten zu verbinden. Damit stand nun ein Grundgerüst aus 16 räumlich ausgesteiften Bauteilen, die den künftigen Schirm aufspannten.
Zwischen dieses primäre Tragskelett schob man nun die weiteren Holzelemente von aussen ein. Die Sparren dieser Elemente sind untereinander in regelmässigen Abständen mit stehenden Holzscheiben verbunden. Dadurch können sie nicht kippen. Nach Abschluss dieser Aufrichtearbeiten konnte das Gerüst des Zentralknotens entfernt werden, und das Tragwerk spannt nun frei über die Glocke des Gasometers.
Auf die Zimmerleute folgten die Membranbauer: Sie rollten die Membranteile auf der hölzernen Tragkonstruktion aus, dichteten die Stösse und spannten sie am unteren Rand.
Nun tropft das Regenwasser entlang der weit ausladenden neuen Traufe auf den Boden – in sicherer Distanz zu der Blechhülle des Gasometers. Das Luftloch im Scheitel der Glocke ist geöffnet, und die Luft aus dem Innern der Glocke kann über eine Ventilationsöffnung über dem Zentralknoten entweichen. Die Wirkung dieser einfachen Massnahme ist frappant: Das Innenklima des Gasometers ist heute spürbar kühler und trockener als früher.
Die mechanischen Installationen für das Enteisen der Tassen sind wichtige Bestandteile des Systems Gasometer; sie bleiben erhalten und werden mit Abdichtmanschetten durch die Membran geführt. Eine Besonderheit für die Holz- wie Membranbauer war die Durchdringung der Membran mit der äusseren Wendeltreppe – hier waren spezielle Metallkragen notwendig.
Statisch gesehen tragen die auskragenden Sparren auf Biegung, sie balancieren auf dem eisernen Ringträger und die Konstruktion im Innern wirkt teilweise als Gegengewicht. Für die übrigen Gewichtsanteile arbeitet das Tragwerk im Innern als druckbeanspruchte Kuppel mit dem Ringträger als Zugband. Vertikale Windeinwirkungen werden in ähnlicher Weise über den Biegewiderstand der Sparren aufgenommen; die tangentialen Einwirkungen leiten die mit den Mehrschichtholzplatten ausgesteiften Zangen auf das Fachwerk des bestehenden Führungsgerüsts.
Die Vorbereitungsarbeiten begannen im Oktober 2021. Das Aufrichten der Holzkonstruktion erfolgte zwischen Februar und April 2022; vom Mai 2022 bis Oktober 2022 verlegte man die Membran. Die Arbeiten verliefen unfallfrei.
Das Planerteam
Bauingenieure:
Conzett Bronzini Partner AG, dipl. Ingenieure ETH/FH/SIA, Chur
Jürg Conzett
Roman Verginer
Josef Dora
Martin Deplazes
Architekt und
Bauleitung: Herbert Bruhin, dipl. Arch. ETH/SIA, Siebnen
Korrosionsexperte:
Kontrakorrosion Rickenbacher GmbH, Steinen
Ferdinand Rickenbacher
Membraningenieur:
Alfred Rein Ingenieure GmbH, Stuttgart
Alfred Rein
Ein nicht alltägliches Projekt
Herbert Bruhin
Dipl. Architekt ETH SIA in Siebnen
Haus, Büro, Museum? Nein, es war ein aussergewöhnliches Projekt, eines, das für mich als Architekt nicht zum Alltag gehört. Der letzte erhaltene Teleskop-Gasbehälter der Schweiz in Schlieren aus dem Jahre 1898 hat eine Überdachung erhalten, die ihn vor Schnee und Regen schützt und seinen Zustand – und damit verbunden seinen historischen Wert – für viele weitere Jahre bewahren wird. Meine Aufgabe war die Projekt- und Bauleitung bei diesem anspruchsvollen Bauobjekt, das ein Kulturgut von nationaler Bedeutung ist.
Aussergewöhnlich in Dimension und Organisation
Das fing schon bei der Planung an. Diese fiel mitten in die Corona-Zeit. Da liefen nicht nur die IT-Leitungen auf Hochtouren. An unzähligen Zoom-Sitzungen mit den beteiligten Planern und den ausführenden Firmen wurden Konstruktionen besprochen, Details abgestimmt und Abläufe koordiniert.
Die Vorbereitungsarbeiten gehen los
Im Oktober und November 2021 konnten schliesslich erste Vorarbeiten vor Ort erledigt werden. Dazu gehörte das Verlegen von Bodenschutzplatten um den Gasometer herum, damit die für die Montage benötigten Hebebühnen darauf fahren konnten. Gleichzeitig war damit die wertvolle Ruderalfläche geschützt. Im Weiteren mussten für die Kranfundamente vier etwa 2,6 Meter tiefe Baugruben ausgehoben werden. Das bedeutete, das bestehende Material (künstliche Auffüllung und Überschwemmungssedimente) entfernen und durch Geröll ersetzen. Bei einer Begehung vor Ort mit dem Geologen und dem Bauingenieur zeigte sich, dass auf ein zusätzliches Betonfundament verzichtet werden konnte. Der Baugrund erwies sich als gut tragfähig. Einzig eine Magerbetonschicht wurde eingebracht, um die Verteilplatten der Krantatzen darauf platzieren zu können.
Worauf liegt das neue Dach?
Der einzige Eingriff in den Bestand des Gasometers geschieht an den sechzehn Primärstützen. Sie allein nehmen die Last der neuen Überdachung auf. An jeder Stütze wurde eine Konsole befestigt, die alle zusammen den umlaufenden Ringträger, d.h. die Konstruktion, tragen. Noch im Oktober wurden mit Hilfe einer Schablone jeweils elf 22 Millimeter-Löcher gebohrt und anschliessend mit einem Korrosionsschutz versehen. Diese Arbeit musste terminlich vorgezogen werden, da die Temperatur für die Ausführung des Korrosionsschutzes Anfang Januar 2022 nicht optimal gewesen wäre.
Die Montage beginnt
Im Januar 2022 schliesslich stand der 67 Meter hohe Kran mit einer Auslegerlänge von 50 Metern bereit. Nun wurden die Konsolen montiert und der Ringträger aufgesetzt und verschraubt. Bestehend aus Stahl-Hohlprofilen nimmt er die Ringzugkraft auf und dient gleichzeitig als Auflager für die Sparren. Für die Montage des Ringträgers waren vier Personen auf zwei Hebebühnen gleichzeitig im Einsatz. Innerhalb von sechs Wochen verbauten sie 57 Tonnen Stahl.
Arbeiten in luftiger Höhe
Der Arbeitsplatz für die Montage, ebenso aussergewöhnlich, lag oberhalb der Kalotte (Dach des Gasbehälters). Dazu wurde im Innern des Gasbehälters ein Schwerlastgerüst hochgezogen, das während der Montagezeit einerseits das Gewicht der Montageplattform und andererseits des Zentralknotens, inklusive Hilfskonstruktion, abfangen musste. Die Arbeitssicherheit stand dabei an oberster Stelle, so wurde über die ganze Fläche der Kalotte ein Sicherheitsnetz gespannt. Ein Aufgang aus OSB-Platten führte zur Montageplattform über dem Scheitel. Zusätzlich brauchte es rund um den Gasometer einen Kollektivschutz und vier Treppentürme, damit die Fluchtwege bei einem allfälligen Notfall gewährleistet waren.
Wie entsteht die Kuppel? Knifflig und clever
Auf dem Installationsplatz Richtung Limmat bauten drei Zimmerleute während fünf Wochen die Haupt- und Nebenträger zusammen. Die vorfabrizierten Elemente (Segmente) wurden aufeinandergestapelt und zwischengelagert, bis sie mit dem Kran auf den Zentralknoten zunächst aufgelegt und danach am Ringträger befestigt wurden. Dazu wurden in einer ersten Phase vier Hauptsparrenelemente kreuzförmig montiert, sodass der Zentralknoten in der Mitte stabil war. Im Anschluss folgten vier weitere und dann die restlichen acht Hauptsparrenelemente, bis das filigrane Dach als eine in sich stabile Kuppelkonstruktion mit einem Durchmesser von 50,5 Metern und einer Auskragung von 6 Metern die ganze Kalotte überdeckte. Danach wurden die Stabilisatoren zwischen den Elementen und die Mehrschichtplatten im Dachrandbereich
ergänzt und abgedichtet. Nach dem Zusammenschluss sämtlicher Sparren konnte der Zentralknoten abgesenkt und die Hilfskonstruktion unter dem Zentralknoten sowie das Schwerlastgerüst wieder entfernt werden.
Im Team arbeiten, manchmal auch liegend
Jetzt folgte das Aufbringen der Membrane, die das hölzerne Schirmgerüst mit einem transluzenten PVC- und PVDF-beschichteten Polyestergewebe überspannt und schützt. Die Membranensegmente wurden mit dem Kran auf das Dach gehoben und auf der Binderkonstruktion ausgefaltet. Anschliessend wurden die Kederprofile mit eingezogener Membrane auf der Holzbinderkonstruktion montiert. Genau und im richtigen Ablauf wurde auch hier gearbeitet, reihum Feld für Feld. Gespannt, geschweisst, geschwitzt, bis die Membrane die ganze Kuppel abdeckte und das Schürzendetail bei den Durchdringungen der Stützen fachgerecht geklebt war. Damit die Qualität der Klebung gewährleistet werden konnte, musste ein Streifen des alten Korrosionsschutzes im Bereich der Klebefläche abgebeizt und neu aufgetragen werden. Ganz zum Schluss, bevor der Kran wieder abgebaut werden konnte, wurde das runde Dach über dem Zentralknoten montiert. Es dient der Entlüftung der Konstruktion und sorgt somit dafür, dass im Bereich zwischen Membrane und Kalotte kein Hitzestau entsteht.
Herzlichen Dank
Ich danke allen am Bau beteiligten Planern und Unternehmern für die sehr gute und spannende Zusammenarbeit und der Kantonalen Denkmalpflege des Kantons Zürich, vor allem Frau Christine Barz, für den interessanten Austausch und für die Unterstützung bei der Umsetzung der denkmalpflegerischen Details. Bauingenieur Roman Verginer von CBP gebührt Dank, dass er immer ein offenes Ohr für mich hatte und sich die Zeit nahm, von Chur nach Schlieren zu kommen, wenn vor Ort knifflige Details zu besprechen waren.
Die sehr detaillierte Planung der Conzett Bronzini Partner AG aus Chur, der Alfred Rein Ingenieure GmbH aus Stuttgart und danach die sorgfältige Umsetzung durch die Firmen Zaugg AG Rohrbach und Koch Membranen GmbH aus Rimsting/Chiemsee DE hat mich beeindruckt. Ich freue mich, Teil dieses aussergewöhnlichen Projekts gewesen zu sein.
Ich bin mir sicher, dass das filigrane Dach ein neues Wahrzeichen für Schlieren wird, so wie es der Gasometer bereits jetzt ist. Zusammen erzählen sie ein Kapitel der Industriebaukunst und verdeutlichen gleichzeitig auf eine schöne Art die Industriegeschichte der Stadt Schlieren.
Abbildungen von Herbert Bruhin
Zum konstruktiven Entwurf
der textilen Dachhaut
Alfred Rein
Ingenieure GmbH, Stuttgart
Noch gut in Erinnerung ist uns der erste Gedankenaustausch mit Jürg Conzett im Jahr 2014, bei dem Ideen für eine Schutzhülle gegen die fortschreitende Korrosion des Gasometers diskutiert wurden. Es dauerte dann noch bis zum Jahr 2018, bis der zur Ausführung bestimmte Entwurf vorlag und wir eingeladen wurden, an der ingenieurmässigen Betreuung der textilen Eindeckung mitzuarbeiten.
Die Eindeckung besteht aus einem hochtransluzenten, PVC- und PVDF-beschichteten Polyestergewebe, das passend im Farbton des Gasometers grau eingefärbt ist. Die Membrane wurden in 32 Segmenten mit einer leichten Vorspannung mittels Aluminiumkederschienen über die 32 Haupt- und 80 Nebensparren gespannt. Die Einteilung der einzelnen Membransegmente und deren Klemmung folgt hierbei streng dem Raster der radialen Holzrippen im vergleichsweise engen Abstand. So ist es möglich, die einwirkenden Lasten homogen auf alle Rippen zu verteilen und die Beanspruchung der einzelnen Rippen deutlich zu reduzieren, was an der Filigranität der Holzstruktur abzulesen ist.
Von oben zu erkennen ist lediglich eine gespannte Dachhaut. Darunter verbirgt sich eine Klemmkonstruktion aus U-Profilen und eigens für das Projekt entworfenen Alukederprofilen, die von Abdeckstreifen, sogenannten Closer Flaps, überdeckt werden. Im Zentrum sind die Membrane umlaufend am Zentralknoten geklemmt. Der äussere Rand verläuft girlandenartig von Holzrippe zu Holzrippe und kann hier neben der Spannmöglichkeit auf den Hauptsparren über eine Vorrichtung nach aussen gespannt werden. So ist es möglich, die Membrane später einmal nachzuspannen oder auch im Zuge eines Membranaustauschs zu entspannen.
Eine besondere Herausforderung sind die zahlreichen Durchdringungen der Stahlstruktur des bestehenden Gasometers durch die Dachhaut, sowohl in konstruktiver wie geometrischer Hinsicht. Die einzelnen Membransegmente wurden im Fertigungsbetrieb im schlaffen Zustand aus einzelnen Bahnen zugeschnitten und verschweisst. Im gespannten Zustand, bei der das Gewebe gedehnt ist, müssen sie mit allen Rändern und Ausschnitten genau zu der bestehenden Konstruktion mit all ihren Durchdringungen passen. Um die durch die Vorspannungen entstehenden Dehnungen zu kompensieren, mussten die Membrane deshalb im Fertigungsbetrieb um das Mass der Dehnungen kleiner gefertigt werden. Dies erforderte nicht nur eine hohe Genauigkeit bei der Planung, sondern auch eine toleranzarme Fertigung der Unterkonstruktion und der textilen Eindeckung selbst.
Gerne waren wir Teil des Planerteams und möchten uns bei allen Beteiligten für die sehr gute Zusammenarbeit bedanken. Wir hoffen, dass durch die durchgeführten Massnahmen der letzte erhaltene Gasometer in Schlieren der Nachwelt als Industriedenkmal noch lange erhalten bleibt.